In letzter Zeit wird immer mehr über Ökosysteme gesprochen. Wenn wir im Google nach "ecosystems" suchen, erhalten wir über 1.1 Milliarde Ergebnisse, und für "digital ecosystems" – 1.85 Millionen mit allein über 150 Tausend Artikeln. Es scheint also kein Nischenthema zu sein, und basierend auf unseren Recherchen befassen sich die meisten Unternehmen auf die eine oder andere Weise mit diesem Thema. Hauptsächlich, weil traditionelle Ökosysteme in digitale Ökosysteme verwandelt oder durch diese ersetzt werden. Auch die aktuelle Covid-Pandemie hat für einen Schub gesorgt, der den Vormarsch deutlich beschleunigt hat.
Werden digitale Ökosysteme einen Einfluss auf uns haben?
Doch bevor wir uns damit befassen, wollen wir sehen, wie ein Ökosystem definiert ist. Laut Britannica: ist ein "Ökosystem ein Komplex aus lebenden Organismen, ihrer physischen Umgebung und allen ihren Wechselbeziehungen in einer bestimmten Raumeinheit".
Persönlich finde ich es faszinierend, die Ökosysteme der Natur zu betrachten, da ich glaube, dass es Parallelen mit den digitalen Ökosystemen gibt. Die Ökosysteme der Natur haben sich über Millionen von Jahren entwickelt und erhalten. Laut Sir David Attenborough, der englische Rundfunksprecher und Naturhistoriker, ist ein Hauptgrund für ihr Überleben die Vielfalt der Spezien innerhalb eines Ökosystems. Dies neben der Tatsache, dass ein sich stetig weiterentwickelndes Gleichgewicht zwischen den Arten besteht und dass die Natur über begrenzte Ressourcen verfügt. Sobald jedoch die Artenvielfalt beeinträchtigt wird, verliert es ihr Gleichgewicht und ist letztlich dem Untergang geweiht, wenn die Artenvielfalt nicht wiederhergestellt wird.
Was können wir somit von der Natur über Ökosysteme lernen?
- Es braucht Zeit, um sich zu entwickeln und weiterzuentwickeln (und es gibt keine Garantie für den Erfolg)
- Es lebt von der Vielfalt (und es muss für alle etwas dabei sein)
- Es ist ausgewogen zwischen seinen Bewohnern (und seine Ressourcen sind begrenzt)
Laut Wikipedia ist ein digitales Ökosystem «ein verteiltes, adaptives, offenes sozio-technisches System mit Eigenschaften der Selbstorganisation, Skalierbarkeit und Nachhaltigkeit, die von natürlichen Ökosystemen inspiriert sind».
Bei digitalen Ökosystemen gibt es keine physischen Grenzen.
Da es digital ist, besteht ein wesentlicher Unterschied darin, dass keine physischen Grenzen überwunden werden müssen. Allerdings wird bei Bedarf eine digitale Repräsentation der physischen Welt benötigt. Damit wird die Identifikation zu einer sehr kritischen Notwendigkeit. Alle Akteure innerhalb eines digitalen Ökosystems benötigen eine digitale Identifikation, alle Waren, die in der digitalen Welt repräsentiert werden, benötigen eine Identifikation, und so weiter. An dieser Stelle kommen die Komplexität und das Risiko ins Spiel. Zwar können auch physische Güter kopiert werden, manche leichter als andere, aber in einer digitalen Welt ist das Risiko, das Ausmass und die Geschwindigkeit um ein Vielfaches grösser. So wird Betrug zu einer viel grösseren Bedrohung, auch weil es keine auferlegten physischen Grenzen gibt. Folglich muss die digitale Identifikation sehr solide und fälschungssicher sein.
Da es keine physischen Grenzen gibt, sind die Skalierung und die Reichweite eines digitalen Ökosystems "fast" grenzenlos und alles ist in Echtzeit verfügbar. So lassen sich neue Geschäftsmodelle, neue Produkte und Dienstleistungen ins Auge fassen. Zum Beispiel sind mehrere Akteure und Dienste in Echtzeit miteinander verbunden und es können völlig neue Wertschöpfungsketten entstehen, die bestehende erweitern oder überflüssig machen können.
Wie fängt man an?
Die zentrale Herausforderung für alle neuen Ökosysteme ist das Problem mit dem Huhn und dem Ei (in unserem Fall Services und Zielgruppe). Die Antwort lautet: Sowohl das Huhn als auch das Ei müssen praktisch gleichzeitig da sein, denn in einem digitalen Ökosystem geht es um Nutzer, Services und Transaktionen. Es ist nur dann für Serviceanbieter attraktiv, wenn es Nutzer gibt, und es ist nur dann für die Nutzer attraktiv, wenn es mehrere Services und Anbieter gibt.
Die Natur hatte viel Zeit, es richtig zu machen, sie hat im Laufe ihrer Evolution auch Fehler und Korrekturen gemacht. Bei digitalen Ökosystemen haben wir diese Zeit leider nicht, aber wir müssen auch Fehler und Korrekturen auf dem Weg dorthin bewältigen. Das Dreieck aus Zeit, Kosten und Qualität ist auch hier anwendbar. Die Zeit (bis zur Marktreife) muss durch Investitionen (in den Aufbau einer Zielgruppe) kompensiert werden, und die Qualität muss durch die Fokussierung auf ein Minimal Viable Product (MVP) kompensiert werden.
All dies ist eine echte Herausforderung für traditionelle Unternehmen, welche gelernt haben, Terminologien wie Business Cases, geplante Einnahmen, Return on Investments und so weiter zu verwenden, wenn neue
Ideen dem Entscheidungsträger präsentiert werden. Da eine einzelne Investition in ein digitales Ökosystem durchaus scheitern kann, wird durch ein Portfolio von Investitionen die Chance auf ein Return-on-Investment gegenüber einer Einzelinvestition signifikant erhöht. Aus diesem Grund haben es Venture Capital-finanzierte Start-ups oder Organisationen, die über erhebliche Forschungsbudgets verfügen, hier etwas leichter.
Mit anderen Worten, um in neue digitale Ökosysteme vorzudringen, sollten mehrere Initiativen und Cases verfolgt werden – ein Portfolio von Initiativen. Auch die Natur macht das, da auch nicht alle Ökosysteme der Natur erfolgreich waren.
Eine Sache ist zu beachten. Eine einzelne Initiative wird entweder eines "natürlichen Todes" sterben (wahrscheinlich als langsamer, schmerzhafter Misserfolg) oder exponentiell-wachsenden Erfolg haben. Der übliche vorsichtige Business Case für eine einzelne Initiative wird somit für digitale Ökosysteme unpassend sein. Ein optimaler Business Case muss auf Portfolio-Ebene erstellt werden, mit strikten Tollgates zur Überwachung des Fortschritts der Initiativen, die regelmässige Go/No-Go- oder Change-Entscheidungen ermöglichen.